Eine Sache am Älterwerden ist ja das Ding mit der Erinnerung. Der Blick geht öfter zurück, als noch vor zehrn Jahren, wo man selber noch das Gefühl hatte, dass die ganze Welt noch vor einem lag. Stimmte natürlich schon damals nicht, aber man konnte sich das einreden... Irgendwann aber fängt man an, ein paar Dinge, die einem wichtig sind, in das persönliche Schatzkistchen zu legen. Dazu gesellen sich ein paar Erinnerungen an schöne Erlebnisse, Zeiten und Stimmungen. Das Verführerische daran ist auch noch, dass die ganzen Erinnerungslücken einen dunklen Hintergrund aller vergessenen Dinge ausbilden, vor dem die vergoldeten Relikte im Bewusstsein um so heller strahlen...
Nun bin ich ja ein Mensch, dessen Leben sehr stark an Musik und Schrift geknüpft ist - also auch an Musik. Und als ich 1997 meine Plattensammlung verkauft habe, weil ich für länger nach Nicaragua ziehen wollte (was dann tatsächlich nur ein paar längere Monate wurden...), da tat ich etwas, von dem mich schon damals eine Ahnung beschlich, dass ich das später mal bereuen würde. Und so kam es auch. Also fing ich vor einigen Jahren an, mir meine Plattensammlung zurück zu kaufen - natürlich nur diejenigen Scheiben, die sich wirklich lohnten - und auch solche, die ich früher schon gerne gehabt hätte - und auch solche, die aus heutiger Sicht unbedingt in meine Sammlung gehört hätten. Und dann fing ich auch an, auf Konzerte von Bands zu gehen, die ich von früher kannte - die ich aber zu Hochzeiten ihres Schaffens irgendwie verpasst hatte. Und bald war es auch soweit, dass ich sogar auf ein Konzert gegangen bin von einer Band, die ich früher schon live gesehen hatte. Wo ich mir also nicht mehr einreden konnte, es sei sozusagen nur, um die Backlist meiner Konzertbesuche aufzufüllen. Das erste mal war das beim Cure Konzert 2006 in Berlin. Und jetzt wieder bei einer Band mit Namen The Chameleons. Ich fand sie großartig damals.
Nun ist es ja so, dass 25 oder gar 30 Jahre später nicht mehr alles so großartig sein muss, wie man es damals empfand, zu Zeiten, als man selbst in einem ganz anderen Leben herumeierte. Das kann böse nach hinten losgehen, wenn man plötzlich irgendwelche alten Säcke auf der Bühne stehen sieht, die versuchen, ihre ollen Kamellen von damals halbwegs passabel rüber zu bringen. Und wenn man mit alten Säcken im Publikum steht, neben einem nur Guinness, alkoholfreies Pils oder Wasser getrunken wird und man sich einbildet, der Geruch von Old Spice liege wie ein Schleier der fortschreitenden Vergreisung in der Herrentoilette.
Nun, mit den Chameleons war es nicht so. Nach zwei langweiligen und unbedeutenden Vorbands sah und hörte ich die Truppe um Mark Burgess am 26.01. im Magnet Club in Kreuzberg - und es war großartig! Dabei hatte alles turbulent begonnen. Meine Begleitung hatte kurzfristig abgesagt - und mir ganz nebenbei noch gesteckt, dass ich ihren Gästelistenplatz haben könnte. Na toll. Wozu hatte ich mir also eine Karte gekauft? Und dann haben sie mir die Karte am Einlass abgenommen - sodass nicht mal mehr ein Souvenier übrig bleiben sollte von dem Abend.
Es war trotzdem geil! Es war voll - und es waren gar nicht nur alte Säcke unterwegs. Es roch nach Schweiß statt nach Old Spice - und zum Klo kam ich erst gar nicht, so voll war's... Das Publikum war textsicher, sogar textsicherer als ich - und ich kann wirklich viel Lieder der Band aus Middleton mitsingen - wenistens so dreiviertel richtig. Den Rest nuschle ich immer lautmalerisch unter die Musik. Chameleons Vox heißt das Projekt der Band, unter dessen Namen sie den Backkatalog der ersten Periode ihrer Existenz (1983 bis zu ihrer Auflösung 1987) zum Besten geben. Später dann - aber das ist auch schon wieder 10 Jahre her, haben sie sich wieder vereint und neue Sachen aufgenommen, die ich aber nicht kenne. Nun ja, so ist das nun mal. Angespornt von diesem Erlebnis - sowie von einigen ähnlich positiven Erfahrungen mit The Cure, Einstürzende Neubauten und Bauhaus habe ich mir dann gleich noch ein Ticket für Fischer-Z gekauft - aber das ist eine andere Geschichte, die ich später erzähle...