Samstag, 22. Oktober 2011

Glitschen mit Glitch Mob im Gretchen

Glitschen, also als Tätigkeitsbezeichnung, ist heute mein Lieblingswort! Als ich gegen 22:30 Uhr das Haus verließ, ging ich glitschen. Glitschen! The Glitch Mob ist in der Stadt - auf ihrem ersten Deutschlandkonzert auf ihrer ersten Europatournee. Meine Güte, ich bin beeindruckt! Das war das allerbeste Konzerterlebnis seit sehr langer Zeit. Als die Band nach ihrer dritten Zugabe von der Bühne ging (nicht ohne Beweisfotos von der randvoll mit Feierwütigen gefüllten Halle) überkam mich ein pathetisches Gefühl, wie ich es schon sehr lange nicht mehr hatte. Ich musste an Nirvana denken, die mit "Nevermind" ein Genre definierten und an The Doors, deren legendäre Auftritte im Whisky A Go-Go
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das Lebensgefühl der Zeit nicht nur auf den Punkt brachten, sondern von der Band zelebriert wurde. Und für mich ist es seit heute tatsächlich so, als tritt mit dem Sound der dreiköpfigen Combo aus Los Angeles und ihres 2010er Debut- (und bislang einzigem) Album "Drink The Sea" ein ganzes, in der Findung befindliches Genre, über seine Ufer: Glitchmob spielt den urbanen Sound der Jetztzeit. Ihr Glitch ist die Phattnesss, der Beat und Rap des HipHops, die elektronische Kompromisslosigkeit des Techno, die Anbindung an den Pop durch die Synthesizer-Melodien aus dem Elektro, die Bässe und Subbässe des Dubsteps, Breaks aus dem Breakbeat, die HighHat vom Drum'n'Bass, das Dope des Urban Dub und die Drumsounds wie die Herzschläge der japanischen Kodo-Trommeln.

15 Euro kostete der Eintritt in den erst wenige Tage alten rsp. neuen Club "Gretchen". Das Gretchen befindet sich in der Obentrautstr., direkt neben einem extrem obskuren und schmucklosen "MusikClub" mit einer (schätzungsweise) türkischen Türsteher-Crew und keinen erkennbaren Gästen. Mit Erschrecken hatte ich mir den schon lange im Kalender rot markierten Termin ohne dazu gehörige Uhrzeit notiert, und als ich so langsam an die Abendgestaltung ging und mich nach der Öffnungszeit im Netz erkundigte, musste ich feststellen, dass seit 21 Uhr Einlass war. Verdammt! In Windeseile stopfte ich Geld, Telefon und Schlüssel in meine Taschen, zog Jacke und Schuhe an und sprang nach draußen. Ich war mich nicht sicher: Wieviel Leute würden kommen? Würde es Karten an der Abendkasse geben? Würde ich überhaupt noch reinkommen? Hatten die vielleicht schon angefangen zu spielen?

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Vor Ort angekommen entpuppte sich alles als problemlos. Es stand zwar ein Schlange von ca. 50 Wartenden vor der Tür, aber innerhalb von 15 Minuten war ich drin, hatte bezahlt und war meine Jacke losgeworden. Das Gretchen besteht aus einer einzigen Halle für ca. 400-500 Besucher, die Decke ist eine Art Kreuzgewölbestruktur (ok, hier habe ich keine so genaue Ahnung von den richtigen Vokabeln) auf weiß angestrichenen und schön verschnörkelten Metallsäulen aus der Gründerzeit. Die eigentlich stilvolle Halle erlebt einige harte Brüche durch die riesigen Lüftungsrohre, die sich rechts und links and den Seiten der Decke entlang ziehen. Einige unscheinbare Paravents teilen einen zweiten Cocktailbar-Bereich ab. Die Lichtanlage ist bescheiden, einige schlampig rsp. behelfmäßig installierte Beamer haben ihren rechten Platz noch nicht gefunden und flackern unscharf und verzogen an die Wand, während wenigstens der Beamer zur Bühne das Geschehen gestochen scharf unterstreicht. Die allesamt weiblichen Barkräfte machen den Eindruck, noch nicht richtig eingespielt zu sein, trotzdem sind alle anwesenden Menschen gut gelaunt und erwartungsvoll.

Als ich meine erste Club Mate bei der Tresenkraft mit blondem Afro bestelle, bittet sie mich, ihr das Geld direkt in die Hand zu legen, weil sie sich sonst beim Aufklauben der Münzen von der Theke ihre Fingernägel abbrechen könnte. Krass. Aber authentisch... Sie könnte gebürtige Cubanerin sein oder aus einem anderen Staat der Karibik kommen, jedenfalls versprüht sie definitiv soviel Verve, als sei der Platz hinterm Tresen gleichbedeutend mit dem Platz auf der Bühne. Einzelne Gäste fotografieren ihre Tanz- und Cheerleading-Einlagen, ein erster Schritt auf dem langen Weg zum Fame. Währenddessen spielt Onra live, eine französische Combo, deren Sound mir zunächst nicht so recht ins Ohr gehen will, der mit zunehmender Dauer aber dann doch auch zunehmend tiefer eingeht, bis er mich gänzlich packt mit seiner ebenfalls sehr urbanen Melange aus HipHop, Dub, Funk, Psychedelic und Soul, garniert mit Soundeinsprengseln kaum zuzuordnenden ethnischer Hintergründe. Etwas fehlte die Dynamik, obgleich der Künstler auf der Bühne mit Keyboard-Support daher kam. Vielleicht war's ja Keyboarder Byron the Aquarius, mit dem Onra schon 2007 eine interessante Kooperation gestartet hat, die "various influences such as futuristic hip hop and spaced-out and jazzy broken beats" beinhaltet. Passt, würde ich sagen...

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Fast pünktlich um Mitternacht beginnt Glitch Mob. Schon die ersten Sounds schieben einen Druck durch die Halle, dass die Hosenbeine flattern. Geil! Innerhalb von Sekunden sind 30 Arme oben mit Handykameras und artverwandtem Spielzeug. Ich bin nur live dabei, dafür aber richtig! Die meisten Besucher kennen das Album, auf dem nahezu jeder Song ein Treffer ist. Woge für Woge der Begeisterung rollt vom Publikum gen Bühne, bei jedem neuen, wohl bekanntem Song branden Jubelschreie durchs Gretchen. Als Belohnung gibt's brachial-fuzzy Elektronikwellen, die sich wie Springfluten von der Bühne auf die Tanzenden ergießen, um immer wieder zurück in seichtere Gewässer zu finden, wo verhuschte Geigensamples oder filigrane Synthiemelodien das Atemschöpfen erleichtern. ...Bis sich dieser Moment ankündigt, wo die Druckwelle die Leute erneut umfängt wie ein wohliger Plasmasturm. Die Musik ist körperlich erfahrbar, sie ist Extase, sie produziert Glückshormone - und sie ist frei! Sie bedient sich in allen Musikstilen, die ihr genehm sind, alle Ingredienzien klingen vertraut, sind komponiert - und generieren doch etwas so eigenständiges, so dass ich das klangliche Ergebnis, wie bereits erwähnt, nur vergleichen kann mit der Definition eines ganzen Genres, nicht bloß einer Spielart.

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Was ist Glitch? Wörtlich könnte man sagen: Ein Störgeräusch, dass aus Fehler in Schaltkreisen entsteht. Bislang konnte dieses Genre eher als Experimentierfeld des Noize oder der Clicks'nCuts gelten, wobei es im Kern nie um die eigentliche Soundästhetik ging, sondern immer um die Arrangements ungewöhnlicher, an sich nicht mit Musik verknüpfter Geräusche. Zu den bekannteren Vertretern zählten bisher Künstler wie Autechre, Amon Tobin, Pan Sonic oder Pole. Großartige Künstler mit exzellenten musikalischen Werken und verhältnismäßig großer Fangemeinde. Doch mit den Musikern von Glitch Mob (ähnlich wie mit Apparat) stehen heute Vertreter des Genres auf der Bühne, die diesen oftmals kopflastigen Sound die körperliche Komponente hinzufügen. Glitch Mob ist musikalischer Sex, hart, vertraut, liebevoll und über die Grenzen gehend. Man kann auch sagen, ein multipler, musikalischer Orgasmus...

Habe ich schon erwähnt, dass ich manchmal zu Übertreibungen neige? Aber ich liebe dieses wunderbare Gefühl, nach Hause zu kommen mit den Eindrücken eines solchen Abends, wirklich sehr! Das hat etwas mit dem Feuer zu tun, das Musik in einem Menschen wie mir zu entfachen vermag. Ich vergehe, wenn es erlischt... Im Anschluss an das Konzert traf ich dann ein Grüppchen Live-Rollenspieler bei Curry36. Sie waren mir schon während das Konzerts durch ihre Kriegsbemalung aufgefallen, ein über's Auge ins Gesicht gemalter, jetzt vom Schweiß der Nacht verschmierter, großer, schwarzer Blitz. Die Kollegen, erfahre ich, sind extra aus München angereist, um das Konzert zu sehen. Das einzige andere Konzert in Deutschland ist in Hamburg. Da haben's die Südländer mal wieder weit zum Vergnügen. Aber Respekt, meine Lieben...

Hier noch ein Kommentar eines begeisterten Fans auf dem release Blog der Band zum Album:

"This music makes me feel like if I touched it my arms would turn silvery and magical and I could like beat up bad guys and win the universe and then I would start an investigation to all the murders of previous owners of the universe like the highlanders and he-man and then I would find out that chuck norris assassinated them and then I would get into and epic duel with chuck norris and he is going to round house my head off but I just play this album and the epic melts his brain" 

Nothing more to say...

Sonntag, 2. Oktober 2011

Klangwirkstoff :: Von Schamanen, Quantenphysik und der kosmischen Oktave

Auf so ein Event hätte ich schon vor zehn Jahren gehen wollen... Jetzt habe ich das mal nachgeholt! Das Berliner Ambientlabel Klangwirkstoff feiert nach langer Zeit mal wieder eine Record Release Party - und das in gewohnt ungewöhnlicher Form. Drei Vorträge stehen auf dem Programm: Zunächst hielt Hans Cousto eine Vortrag über seine "Kosmische Oktave", ein von ihm entwickeltes mathematisches Universum der Klänge, basierend auf der Idee, das harmonikale Gesetz von Frequenzverdoppelung bzw. Frequenzhalbierung (Oktavierung) auch über den Hörbereich hinaus anzuwenden. So entstand die Möglichkeit, Planetenrotationen und Molekülschwingungen oktavanaloge Töne und Rhythmen zuzuordnen. Die dabei gefundenen Zusammenhänge bspw. zum "Jahreston" der Erde (also die oktavierte Rotation der Erde um die Sonne) entspricht dem tibetischen "Om"-Ton, der weltweit als Herzton für Meditationen angewandt wird. Damit schafft Cousto für mich einen spannenden Zusammenhang zwischen Musik, Quantenphysik und Spiritualität, dessen ich mich hier und da wirklich gern hingebe.

Nicht zuletzt kann mit Hilfe von Coustos musikalischen Prinzipien auch Frequenzen und Töne für Moleküle bestimmt werden, was den zweiten Vortragenden des Abends, Barnim Schultze, seit mehr als zehn Jahren zur Vertonung allerhand psychoaktiver Moleküle wie z.B. LSD, THC, MDMA usw. angeregt hat. Sein Interesse galt der Frage, ob man durch die Hörbarmachung der tonalen Schwingungen dieser Moleküle ähnliche psychoaktive Effekte erzielen kann, wie durch die Einnahme dieser Substanzen. Denn relativ viele Ex-Hippies, die vom exzessiven Drogenkonsum zur intensiven Meditation gelangt sind, behaupten ja gerne, dass der drogen-induzierte Zustand des veränderten Bewusstseins auch durch allerhand andere Techniken, bspw. Meditation, Trance ua.a. herbeigeführt werden kann. Da liegt es nahe, einen Ursache-Wirkungszusammenhang zwischen verändertem Bewusstsein und bestimmten Schwingungen zu suchen.


Leider entglitt dem Redner zwischenzeitlich sein ansonsten spannender Vortrag, als er über die Krisen der Welt, Schläfer und REM-Phasen sowie Astrologie ein paar allzu esoterische Plattitüden los ließ, dennoch bekam er am Ende nochmals die Kurve, als er von seinem aktuellen Projekt, der Wasserstoffvertonung (H2 The Quantum Music of Hydrogen) sprach. Unter dem Namen Akasha Projekt kann Schultze bereits auf zahlreiche Veröffentlichungen seiner Experimente verweisen. Neben Cousto sowie den Musikern B. Ashra, Tommelon und Ricky Deadking (Eru) ist er Mitbegründer des Brain Entertainment Laboratory, dass die Frequenzen und Rhythmen natürlicher Schwingungsphänomene auf ihre psychische und physische Wirksamkeit erforscht. Die langsam veraltende Website Medienschamanismus gibt weitergehende Hinweise.

Der Dritte Vortragende im Bunde war Christian Rätsch, Doktor der Philosophie und Autor zahlreicher Bücher über psychoaktive Pflanzen, Schamanismus und das erweiterete Bewusstsein. Ein Hippie und Drogen-Guru wie er in (seinem) Buche steht! Sitzt da wie auf einem Divan, beschreibt schamanische Reisen mit indianischen Mystikern mittels Ayahuasca und gibt Reisetipps für Peru. In seinem Vortrag nimmt er immer wieder Bezug auf die monotonen Gesänge der Schamanen - und hat auch ein paar Klangbeispiele dabei, die er den zahlreichen Zuhörern nur allzugern darreicht. Sie sind vielleicht ein Vorgeschmack auf die noch viel seltsameren Tripps, auf die er selbst oft genung gegangen ist, für die es aber laut seinen Erklärungen keine Worte gibt, die ausdrücken könnten, was auf solchen schamanischen Reisen geschieht. In jedem Falle ist es lebensverändernd und von fundamentaler Bedeutung. Ok soweit. Ein bisschen eigene Mythospflege gehört natürlich auch dazu. Man will sich später auch nicht vorwerfen lassen, man habe falsche Erwartungen geweckt... Aber grundsätzlich bin ich schon geneigt, darin einiges an Wahrheit zu sehen. Schließlich würde ich den Schritt, generell bewusstseinserweiternde Erfahrungen zu machen, schon als lebensverändernd einstufen - geschweige denn, psychoaktive Substanzen wie LSD, Peyote oder eben Ayahuasca einzunehmen. Insofern redet der Mann hier sicher keinen Blödsinn.

Es geht ja auch nicht so sehr darum, ob ich das glaube oder nicht: mich fasziniert die Konsequenz, mit der dieser Mensch in einer sehr bunten, spirituellen, philosophischen, wissenschaftlichen, reiselustigen und mit sichtbarer innerer Harmonie ausgestalteten Welt lebt. Wahnsinn! Er hält auf ethno-botanischen Kongressen Vorträge über Wirungsweisen diverser Dschungel- und Hochlandpflanzen in Südamerika, schreibt Bücher über Cyberschamanismus und Technokultur, gibt Wochen-Seminare in Nepal, spricht in einem Vortrag über germanische Räucherrituale zur Wintersonnenwende und schneit auch mal - wie heute - ins Ritter Butzke hinein, um den Leuten was über Ayahuasca zu erzählen. Und noch 1000 Sachen mehr! Einige seiner Bücher habe ich 1997 während meines Aufenthalts in Nicaragua gelesen - und mir immer gewünscht, diesem Menschen mal persönlich zu begegnen. Nun, allzu persönlich ist es dann nicht geworden - aber ich bin heute zufrieden, ihn mal live erlebt zu haben.

Nach den Vorträgen gab's dann Livemusik - natürlich von Akasha Projekt, aber auch bspw. vom Kraftfuttermischwerk - während in den anderen Floors (neben weiteren Djs) auch Sven Dohse, Mary Jane, Tanith und Hypnorex ihre musikalische Jetztzeit intonierten. Im Hinterzimmer war zudem sogar eine richtige Bibliothek aufgebaut, hauptsächlich bestückt vom Nachtschatten Verlag, dem Fachverlag für intellektuelle Drogenanwender und ambitionierte Hobbygärtner. Dort konnte man auch Dr. Motte und andere Szenegrößen aus den grauen Vortagen beim Blättern und Netzwerkeln beobachten. Alles in Allem ein sehr, sehr gelungener Abend - nicht zuletzt natürlich auch aufgrund der zahlreichen Bekannten und bekannten Gesichter, die ich dort (wieder) traf. Wirklich allerbeste Abendunterhaltung!