Das Thema Stadtentwicklung liegt mir ja schon am Herzen, insbesondere wenn es um solch liebenswert-chaotische Flecken wie den RAW.tempel in Berlin Friedrichshain geht. Naja, hier habe ich in den letzten sechs Jahren viel Zeit verbracht, davon vier Jahre lang Veranstaltungen gemacht. Eine zeitlang war ich auch im Vorstand dieses sozio-kulturellen Vereins.
Eigentlich wollten wir mal eine Genossenschaft gründen, das war im Jahre 2005. Dafür hatte ich mich doll ins Zeug gelegt, aber ich wusste vorher selbst nicht, wie sehr Veränderung in diesen sozial doch recht wackeligen Kreisen als Bedrohung empfunden wird. Dass wir damals keine Genossenschaft gegründet haben, stellt sich heute als folgenschwerer Fehler heraus. Nicht das mir das nicht schon damals schwante, aber es fließen dann doch immer ein paar Tropfen Herzblut die Spree hinunter, wenn's dann soweit ist. Denn 2007 kam der neue Eigentümer, Immobilien-Spekulanten mit sehr dubiosen Hintergründen. Hier deutlicher zu werden würde strafrechtliche Probleme nach sich ziehen. Eine Vielzahl von Artikeln erschien überwiegend in der Berliner Tagespresse. Nachdem er mich und meine Kollegin Andrea Taha interviewte, schrieb diesen hier Matthias Jekosch, er erschien am 09.11.2007 im Tagesspiegel [link zum Artikel].
Das rostige Windrad im Hof dreht und dreht sich. Im Café Küste holen sich die Künstler ihre Ration Koffein, es ist ein Kommen und Gehen. Vereinzelt sitzen Leute unter Bäumen, die hinter dem Verwaltungsgebäude ihre Zweige in alle Richtungen strecken. Das RAW-Gelände an der Revaler Straße ist voller Leben. Und Raimund Reintjes und Andrea Taha sind mittendrin.
Ein Mann spricht Reintjes an: „Das Stoff- und Gerätelager wird am Montag eingerüstet.“ Reintjes reagiert aufgeschreckt: „Da ist doch eine Veranstaltung.“ Das Gelände ist eben immer im Wandel und manchmal kommen dann ein paar Dinge durcheinander. Der 39-jährige Raimund Reintjes ist für Veranstaltungen zuständig, die 48-jährige Andrea Taha ist im Vorstand des Vereins RAW-Tempel, der vier Gebäude betreibt. In ihnen haben sich Künstler, Kleingewerbe, Tonstudios, ein Zirkus oder politische Initiativen eingerichtet. Insgesamt sind es 60 Mieter, die das alte „Reichsbahnausbesserungswerk Franz Stenzer“ mit Leben erfüllen. „Wir sind stetig gewachsen. Jetzt haben wir die Warteliste für Mieträume gestoppt. Wir könnten das ganze Gelände vollstopfen mit Projekten“, sagt Reintjes.
Das war einmal anders. Nachdem das Ausbesserungswerk 1994 stillgelegt wurde, lag das gesamte Gelände brach. 1998 kamen die ersten Künstler, die sich 1999 dann im Verein zusammenschlossen. An die alte Nutzung erinnern heute noch Schienen, die über das Gelände verlaufen. Auch die Namen der Gebäude sind geblieben. Beamtenwohnhaus, Ambulatorium, Verwaltungsgebäude und Stoff- und Gerätelager werden allerdings längst anders genutzt. Obwohl der Verein allein 6000 Quadratmeter nutzt und auch die Five-O GmbH mit dem Club Cassiopeia, einer riesigen Skaterhalle und dem Sommergarten vertreten ist, liegen immer noch fast 90 Prozent des „Revaler Viereck“ genannten Geländes brach.
Marode Gebäude, viele Freiflächen und wildes Gestrüpp bestimmen das Areal, das auf der einen Seite durch Bahngleise, auf der anderen durch eine Mauer zur Revaler Straße hin begrenzt wird. „Die hat unsere Künstler erst mal geschützt“, sagt Reintjes. So hatten sie Zeit, sich zu entwickeln.
Inzwischen ist etwas zusammengewachsen. „Wir bieten unseren Partnern hier soziale und berufliche Kontakte“, sagt Taha. Das ist auch in Berlin aufgefallen. Die Anfragen von Veranstaltern werden immer häufiger. Vor allem die Friedrichshainer Besucher haben ihren Weg hierher gefunden, sei es für Veranstaltungen oder einfach nur entspannt auf einen Kaffee. „Wir kommen dem alternativen Lebensgefühl im Kiez entgegen“, glaubt Reintjes. Doch auch das wandelt sich. Touristen werden busseweise ausgeladen und wandern die Simon-Dach-Straße auf und ab, die direkt auf das Gelände zuläuft. „Die kommen alle her, weil es so alternativ sein soll, tragen aber nichts dazu bei, dass es so bleibt“, sagt Reintjes zur Entwicklung im Kiez.
Doch eine Entwicklung am Revaler Viereck beschäftigt Taha und Reintjes derzeit viel mehr. Der Investor R.E.D. Berlin Development GmbH hat das Gelände gekauft und will generationenübergreifendes Wohnen ermöglichen. Das ließ bei den jetzigen Nutzern erst einmal die Alarmglocken schrillen, denn sie fürchteten verdrängt zu werden. Der längste Mietvertrag läuft gerade mal noch fünf Jahre. Andrea Taha ist aber guter Dinge: „Der neue Eigentümer zeigt sich kooperativ. Wir hoffen, dass wir permanent hierbleiben können.“
Für das als Zwischennutzung gestartete Projekt wäre das ein Erfolg. Die Bezirkspolitiker zumindest stärken dem Verein den Rücken. Das liegt auch an den Arbeitsplätzen, die alleine durch die zahlreichen Ateliers geschaffen wurden. „Wir sind nicht gegen den Wandel“, stellt Taha fest. „Aber wir möchten ein Mitspracherecht, in welche Richtung der Wandel geht.“ Es geht voran im Revaler Viereck – das rostige Windrad zeugt davon.
(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 09.11.2007)