Montag, 1. September 2008

Gentrification in Berlin II: RAW.tempel - Verhandlungen festgefahren

Das vorerst letzte Dokument zum Thema Stadtentwicklung und RAW. Die hier (und andernorts) erwähnte Interessensgemeinschaft Revaler 5eck ist ein Zusammenschluss der Nutzer auf dem RAW-Gelände, in der ich zu dieser Zeit auch aktiv war. Mit der Unterzeichung von mittelfristigen Verträgen für das Zentrum des Geländes hat dieser Verein allerdings seine Aktivitäten eingestellt. Ich glaube, er existiert aber immer noch. Wollen wir hoffen, dass der RAW.tempel din der Lage ist, seinen Verbleib auf dem Gelände zu sichern. Der hier wieder gegebene Artikel erschien am 01.09.2008 im Friedrichshain-Magazin, herausgegeben von ASUM - Angewandte Sozialforschung und urbanes Management im Auftrag des Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg, Abteilung für Stadtentwicklung und Bauen [link zum Artikel als pdf].

Die Nutzer des RAW-Geländes an der Revaler Straße sehen sich weiter von den Plänen der neuen Eigentümer in ihrer Existenz bedroht. In einer vom Bezirk moderierten Verhandlungsrunde gab es so gut wie keine Annäherung. Die in der "Entwicklungsgemeinschaft Revaler 5eck e.V." zusammengeschlossenen Nutzer warfen den Eigentümern eine "Hinhaltetaktik" vor und zogen sich aus der Arbeitsgruppe zurück.

Seit vergangenem Sommer ist die "R.E.D. Berlin Development GmbH", hinter der vor allem ein isländischer Immobilienfonds steht, Eigentümerin des ehemaligen "Reichsbahnausbesserungswerks Franz Stenzer". Sie hatte das sieben Hektar große Gelände für drei Millionen Euro von der Bahnflächenverwertungsgesellschaft Vivico erworben. Auf dem Gelände ist seit zehn Jahren alternative Kultur zuhause, unter anderem der RAW-Tempel, der Club "Cassiopeia", die Skatehalle und der als Kletterwand genutzte Hochbunker ("Kegel"). Schon das im Februar 2008 von der R.E.D. vorgestellte städtebauliche Konzept sorgte für schlechte Stimmung. Für die zentral auf dem Gelände stehende Skatehalle war der Abriss vorgesehen, die Skateboardfahrer sollten stattdessen in eine neue Halle an der Modersohnstraße umziehen. Der Kletterkegel sollte ebenfalls aus der Mitte verschwinden, als Ersatz war am Rand des Geländes eine neue Kletterwand geplant. Auch das Cassiopeia muss den Plänen zufolge aus dem zentralen Bereich weichen. Direkt an der Warschauer Brücke ist ein großer Einzelhandelskomplex geplant. Am Südrand, entlang der Bahn, soll anstelle der alten Radsatzdreherei eine Flaniermeile mit Geschäften und Cafés unter Arkadengängen und daran anschließend ein generationsübergreifendes, autofreies Wohngebiet gebaut werden. Der RAW-Tempel wäre dann durch eine geplante Erschließungsstraße teilweise vom Rest des Geländes abgeschnitten.

Die Nutzer protestierten und auch der Bezirk meldete "Diskussionsbedarf" an. Die R.E.D. zeigte sich zunächst auch kompromissbereit. Bevor sie bauen kann, muss der Bezirk das Anfang 2007 abgebrochene Verfahren zur Aufstellung eines Bebauungsplanes neu aufrollen. Die Mitarbeiter der Verwaltung haben dabei von Anfang an klargestellt, dass dafür eine Einigung mit den Nutzern die Voraussetzung ist. Um eine einvernehmliche Lösung zu finden, haben sich Eigentümer, Nutzer und Bezirksverwaltung in einer Arbeitsgruppe unter der Leitung von Bezirksbürgermeister Franz Schulz mehrfach zusammengesetzt. Die Treffen verliefen in gespannter Atmosphäre. Teilnehmer berichten über zermürbende Streitereien um Formulierungen im Protokoll. Das Konzept vom "Revaler 5eck" wurde von der R.E.D. rigoros zurückgewiesen. Auch nach vier Treffen ließ sich nur wenig Bewegung feststellen. Die Nutzer zweifelten die Ernsthaftigkeit der Eigentümervertreter an, warfen ihnen eine "Hinhaltetaktik" vor und sind deshalb am 12. Juni aus der Arbeitsgruppe ausgezogen. "Wir können nicht über die städtebauliche Entwicklung des Geländes diskutieren, wenn unsere eigene Existenz dabei gefährdet ist", sagt Raimund Reintjes vom RAW-Tempel. Die R.E.D. habe in der Runde viele Varianten und Studien vorgestellt, wie Reintjes berichtet: "Es gab acht oder neun Entwurfsmodelle, aber nur in einem kamen wir vor." Vorgelegt wurden Skizzen, die Reintjes "beliebig und schwammig" nennt. "Ich habe keine Pläne gesehen, die man unter städtebaulichen Gesichtspunkten diskutieren könnte."

Grundsätzlich sind die Eigentümer von ihrem Konzept zur Neuordnung des Areals nicht abgerückt. Nach wie vor sehen sich die Skatehalle, der Kegel, Cassiopeia und RAW-Tempel an ihren jetzigen Standorten akut gefährdet. Unter dem Motto "Wir sind gekommen, um zu bleiben" zog deshalb am 21. Juni eine Demonstration mit 300 Teilnehmern durch den Kiez.

Raimund Reintjes geht davon aus, dass nach einer Denkpause die Arbeitsgruppe im Herbst wieder zusammentreten wird. "Wir müssen die Frage klären: Kann sich die R.E.D. vorstellen, dass wir hier bleiben?" Dass es zumindest einen Entwurf gibt, der die jetzigen Nutzer berücksichtigt, sieht Reintjes als Signal, dass ein Einvernehmen immer noch möglich ist. Ein wichtiger Faktor ist auch die Zeit: Statt sich auf einen jahrelangen Konflikt mit den Nutzern und dem Bezirk einzulassen, könnte es für die R.E.D. günstiger sein, einen Kompromiss zu suchen und somit ihre Investitionen schneller vornehmen zu können. "Die Entwicklung des RAW-Geländes muss mit Augenmaß geschehen", meint Raimund Reintjes, "damit nicht sowas heraus kommt wie ,Mediaspree".

(Erschienen im Friedrichshain Magazin, Zeitung für Stadterneuerung vom 01.09.2008)

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