Folgender Artikel erschien in der Berliner Zeitung am 08.10.2009. Geschrieben hat ihn Timon Engelhardt, ein langjähriger Wegbegleiter unserer Netaudio-Aktivitäten. Hier ist der Link zum Artikel.
Im Internet ist ein Netz aus freien Labels entstanden -
jetzt präsentieren die sich in der Maria
Antina Michels, Don Ludwig, Raimund Reintjes und Timor Kodal (v. l.) sind die Initiatoren des
Netaudiofestivals in der Maria. Foto: Benjamin Pritzkuleit,
Berlin - Samstagnacht, Friedrichshain, Revaler Straße. Rund um das Gelände des vor einigen Wochen vom Bauamt geschlossenen RAW-Tempels streifen Grüppchen von Jugendlichen durch die Dunkelheit. Viele kommen aus den umliegenden Hostels, sagt einer, der es wissen muss, denn er gehört zu den Betreibern des Clubs, vor dessen Tür sich gegen ein Uhr die erste Schlange bildet. Netlag, die erste komplett Gema-freie Netaudio-Veranstaltung Europas, feiert an diesem Abend mit DJs und Liveacts. Die Protagonisten kommen aus dem eigenen Umfeld, aber auch aus dem europäischen Ausland. Weder Werbebanner noch aufwendige Lichtinstallationen bestimmen das Bild. Der Blick ist hier aufs Wesentliche und damit in erster Linie auf eine für die Musiker akzeptable Anlage gerichtet. Die sorgt in den nächsten acht Stunden auch dafür, dass sich die etwa 300 Gäste des Clubs vor allem auf die Musik und das nächste Getränk konzentrieren können: Berlin - Techno City wie aus dem Reiseführer.
Netlag ist Teil eines wurzelartigen Geflechts aus Blogs, Labels und Foren, das sich rund um den Globus entwickelt und organisiert hat - im Internet. Mal mehr, mal weniger von politischen Motiven und einer Kritik an den Strukturen und Zwängen der Musikindustrie getrieben, haben sich hier in den vergangenen Jahren Produzenten eigene Veröffentlichungsplattformen geschaffen. Schon jetzt haben sie die Musiklandschaft verändert. "Während die Majors lange Zeit über die rückläufigen Tonträgerverkaufszahlen herumlamentierten und die Tauschbörsenkultur verteufelten, haben die Netlabel die Möglichkeiten erkannt, die das Internet für den Vertrieb von Musik eröffnet", sagt Timor Kodal, selbst Netlabel-Musiker.
Alles ganz legal
Die unter Creative Commons vertriebene Musik bietet aber auch den Kunden eine ganze Reihe von Möglichkeiten. Neben dem einfachen Download ist meistens auch das Kopieren, Weiterverbreiten und Bearbeiten erlaubt - alles ganz legal an der Gema vorbei. [.] Dass über das Internet als Bühne und Verwertungsinstanz noch viel Diskussionsbedarf besteht, zeigt ein Blick in das Tagesprogramm des am nächsten Wochenende zum zweiten Mal in Berlin stattfindenden Netaudiofestivals. In Workshops und Diskussionen sollen die aktuellen Probleme der Netlabels geklärt werden; Begriffe wie Missbrauchsschutz, EU-Recht und immer wieder Markt durchziehen die Ankündigungen. Für weniger theoretisch am Geschehen Interessierte bietet das Wochenende aber vor allem eine ganz praktische Form der Teilhabe: Etwas abseits des eigentlichen Festivalorts, aber gerade im Mauerfall-Jubiläumsjahr interessant, soll die geplante Sammlung von Field Recordings endlich Gestalt annehmen - Umgebungs- und Naturgeräusche also, die am ehemaligen Mauerstreifen entlang der Spree gesammelt werden sollen. Hier bauen die Veranstalter auf die Initiative der Besucher: Jeder ist eingeladen, Aufnahmen zu machen und auf der Festivalhomepage hochzuladen, die besten Beiträge werden präsentiert.Von Minimal bis Drone
Doch vor allem das Nachtprogramm besticht mit seinem selbst für Berliner Verhältnisse aufregenden Line-Up, und es sind nicht unbedingt nur für Nerds bekannte Acts dabei. Weit mehr als hundert Künstler von vier Kontinenten werden an den drei Tagen und Nächten auf insgesamt acht
Floors die verschiedensten Spielarten elektronischer Musik darbieten: Neben den bekannten Variationen von Minimal, House und Techno finden ebenso sonst nicht allzu präsente Musikrichtungen ihren Platz. Ambient und Dubstep, Breakbeats und Triphop, Noise und Drone - der Stile sind viele und somit auch der Möglichkeiten, Unbekanntes und Abseitiges zu entdecken.
Auch wenn der Fokus des diesjährigen Netaudiofestivals ganz klar auf Künstlern aus osteuropäischen Ländern liegt, ist der Berliner Underground ebenso mit bekannten DJs und Liveacts vertreten. Unterstützung kommt ebenfalls von bekannteren Protagonisten der Technoszene: Der in den 90er-Jahren vor allem als Produzent von sphärischem Dub-Techno bekannt gewordene Dirk Diggler zum Beispiel, der vor Kurzem mit seinem Album "Decade One" brillierte, wird ebenso mit einem DJ-Set vertreten sein wie das Berliner Techno-Urgestein Tanith und Alex Meshkov vom russischen Vorzeige-Netlabel Deepmix. Selbst der Vertrieb Wordandsound, mit der Bezahl-Downloadplattform Whatpeopleplay bekannt geworden, schickt mit Marc Schneider aus Hamburg und Peter Armster aus Berlin zwei Mitwirkende ins Rennen.
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Netaudiofestival
Donnerstag: Live u.a. Pheek, Klartraum, Dreher & sm.art
Freitag:Live u.a. Goldwill, Erich Lesovsky; DJs u.a. Tanith, Marc Schneider
Sonnabend: Live u.a. Disrupt, SCSI-9, Marco Fürstenberg, Kraftfuttermischwerk
Alle Partys beginnen um 21 Uhr in der Maria am Ufer, Stralauer Platz 34/35, Friedrichshain
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