Samstag, 10. Dezember 2011

Dostojewskijs "Der Spieler" in der Volksbühne - Fernsehen mit Castorf

Unglaublich - Raimund geht in's Theater - das ist ja noch seltener als einen Sack Goldmünzen unter'm eigenen Bett zu finden... Es war irgendwie auch nicht meine Schuld - sondern die des Nikolauses in Form meines WG-Mitbewohners Martin, der alle WG-Genossen ins nahe gelegene Scheinbar-Varieté einladen wollte. Das ist eine winzige Bühnenspielstätte in Kneipengröße und mit doppeltem Underground-, Off- & Geheimtipp- Bonus. Sowas mag ich ja eigentlich - obwohl das angekündigte Programm eigentlich nicht viel aussagte. Aber irgendwie hätte das eine WG Ausflug in ein kleines Etablissement um die Ecke werden können, ohne großen künstlerischen Anspruch - dafür im ungezwungenen Ambiente. Tja, ausverkauft... Irgendwann schickte Martin also die SMS, dass er stattdessen Karten für Frank Castorfs Inszenierung von Dostojewskijs "Der Spieler" in der Volksbühne reserviert hätte - und die Nachricht traf mich wie ein Nackenschlag mit einem Zweihänder. Seit Jahrzehnten verweigerte ich dieser Kunstform nun schon hartnäckig meine Aufwartung, obwohl z.B. meine Schwester Schauspielerin ist - und in Rollen spielt, für die sich der Rest meiner WG ein halbes Jahr im Voraus Karten reserviert. War das etwa ein perfider Plan, mir jedwede Argumente zu rauben, mich einem Besuch eines Stückes von meiner Schwester weiterhin zu entziehen? Oder stecken noch andere, viel missionarischere Absichten dahiner?

Jedenfalls kam der Samstag (und die gemeinsame Fahrt zur Volksbühne) in einem Tempo gleich einer polierten Bowlingkugel in einem Eiskanal. Vor Ort erinnerte ich mich an meinen letzten Besuch in dem Etablissement - noch mit meiner damals frisch angetrauten Ehefrau Antje, wo wir eine 8 Stunden-Inszenierung der Niebelungen gesehen hatten, die ich nur mit äußerster Mühe und viel verliebter Hingabe überstand. Und auch dieses Mal erwischte uns die temporale Keule mit voller Wucht: Das Stück begann um 19 Uhr - und endete ohne Vorwarnung erst kurz vor Mitternacht! Wir hatten alle mit einer 2,5-Stunden Inszenierung gerechnet - aber nein, natürlich ... Wenn schon - denn schon...

Scheer, Angerer& Rois in "Der Spieler"
Als nach gut 2h Pause war, war ich doch sehr angetan: Fast vollkommen losgelöst von der Vorlage des Originaltextes von Dostojewskij wurde hier ein sehr unterhaltsamer Rahmen aufgespannt - mit insbesondere zwei unglaublichen Sprecherrollen, die kilometerweise Text abspulten, dass ich mich frage, ob das wirklich alles von einem einzigen Menschen gelernt werden kann. Oder standen dort Klone auf der Bühne? Oder gab es an zwei Dutzend Stellen die Regieanweisung: 'Erzähl' halt irgendwas, pack möglichst viele Worte in die Minuten, rassel es runter wie ein Wasserfall - nur sieh zu, dass es irgendwie zur Stimmung passt...' Fast bin ich geneigt zu glauben, dass es wirklich nur jeweils eine weibliche und eine männliche Person waren, die in der enstprechenden Rolle steckten - und das finde ich sensationell. Namentlich: Kathrin Angerer und Alexander Scheer, den ich schon im Film "Sonnenallee" gesehen habe und der zurzeit auch noch als Percussionist mit "The Whitest Boy Alive" auftritt. Schauspielerisch sehr ansprechend fand ich auch Grimmepreisträgerin Sophie Rois.

Ansonsten war das Theaterstück zu großen Teilen wie Kino, weil der zentrale Raum des Stücks, das Casino, gar nicht vom Publikum einsehbar war, sondern nur durch den Einsatz einer Livekamera auf eine große Projektionsfläche übertragen wurde, die in der Kulisse eines Viertels der Drehbühe aufgestellt war. Das hat mir sehr gut gefallen, ebenso wie die zahlreichen Anspielungen an moderne Spieler, "Playboys" und Musiker wie Mick Jagger oder Brian Jones und weitere Aspekte der Popkultur. Die Handlung zerfaserte für mein Empfinden ziemlich, einige Bilder verstand ich dann auch nicht, so z.B. 'die Kartoffel, auch die "Preussische Orange" genannt' - oder das 'deutsche Krokodil'. Und am Ende war auch meine Aufmerksamkeitsspanne überdehnt. Trotzdem muss ich sagen, dass mir das Stück gut gefallen hat und meine strikte Ablehnung gegenüber dem Theater tatsächlich ins Wanken gekommen ist. Verdammt!

Im Anschluss an diesen Abend traf ich mich noch mit Heidi im "Gretchen" zum "Klub der Pioniere", eine Veranstaltungsreihe, die ja sonst im MIKZ stattfindet. Marc Miroir (Paso Music) hatte mir freundlicherweise Gästelistenplätze zu Verfügung gestellt. Bei der Gelegenheit fand ich heraus, dass es noch einen zweiten, kleineren Raum im Gretchen gibt - und, dass auch andere Veranstaltungen mit einem tollen Lineup Anfang Dezember unter Besucherschwäche leiden. Ich muss sagen, da haben wir mit unserer Dienstagswelt - trotz der touristenarmen Schwächephase - noch deutlich mehr Gäste auf unseren Parties, als in dieser Nacht im Gretchen weilten... Und auch nettere! Es war trotzdem ein schöner Abschluss mit ein paar Vodka-Mate und Musik von Turmspringer, Pornbugs, Marc Miroir und anderen. Ins Stattbad Wedding wollte ich anschließend aber nicht mehr mitgehen - irgendwann ist auch mal gut.

Freitag, 2. Dezember 2011

Spiel mir das Lied Deines Lebens :: Premiere im Salon Wilde Renate

Oh je... Das war schon wieder eine Überdosis RAW. Dennoch: Daran habe ich ja länger gearbeitet, dass die Jungs mit ihrer Schow rund um das besondere Lied mit der besonderen Geschichte in der Renate heimisch werden können. Leider konnte ich selbst nicht anwesend sein, weil ich im KlickClub (ex PHB-Club) Künstlerbetreuung machen musste. Gab gut Geld - und das konnte ich nicht sausen lassen. Aber irgendwie war ich auch froh, dem RAW Dejavu entkommen zu können. Fazit: 4 zahlende Gäste, alles Geld versoffen.

Samstag, 26. November 2011

Eröffnung Salon Blaue Elise

Endlich ist es soweit: Jule und ich eröffnen unseren "Salon Blaue Elise" in der Samariterstr. 17. Insgesamt ist es doch viel antiker geworden, als wir uns zuerst gedacht haben, aber uns beiden gefällt's! Die Eröffnungsfeier wird ein rauschendes Fest bis in den Morgengrauen - mit special guests aus London: Ganz überraschend kamen Chris & Hannah durch die Tür spaziert, die gerade auf Berlin-Besuch waren und von Antina von unserer Eröffnungsparty erfahren hatten. Wie es sich für gestandene Finninnen und Briten (mit deutscher Verwandtschaft) gehört, waren sie die letzten Gäste..! Ein toller Auftakt - jetzt muss es uns nur noch gelingen, den Laden an's Laufen zu bekommen...

Samstag, 22. Oktober 2011

Glitschen mit Glitch Mob im Gretchen

Glitschen, also als Tätigkeitsbezeichnung, ist heute mein Lieblingswort! Als ich gegen 22:30 Uhr das Haus verließ, ging ich glitschen. Glitschen! The Glitch Mob ist in der Stadt - auf ihrem ersten Deutschlandkonzert auf ihrer ersten Europatournee. Meine Güte, ich bin beeindruckt! Das war das allerbeste Konzerterlebnis seit sehr langer Zeit. Als die Band nach ihrer dritten Zugabe von der Bühne ging (nicht ohne Beweisfotos von der randvoll mit Feierwütigen gefüllten Halle) überkam mich ein pathetisches Gefühl, wie ich es schon sehr lange nicht mehr hatte. Ich musste an Nirvana denken, die mit "Nevermind" ein Genre definierten und an The Doors, deren legendäre Auftritte im Whisky A Go-Go
Copyright  The Glitch Mob
das Lebensgefühl der Zeit nicht nur auf den Punkt brachten, sondern von der Band zelebriert wurde. Und für mich ist es seit heute tatsächlich so, als tritt mit dem Sound der dreiköpfigen Combo aus Los Angeles und ihres 2010er Debut- (und bislang einzigem) Album "Drink The Sea" ein ganzes, in der Findung befindliches Genre, über seine Ufer: Glitchmob spielt den urbanen Sound der Jetztzeit. Ihr Glitch ist die Phattnesss, der Beat und Rap des HipHops, die elektronische Kompromisslosigkeit des Techno, die Anbindung an den Pop durch die Synthesizer-Melodien aus dem Elektro, die Bässe und Subbässe des Dubsteps, Breaks aus dem Breakbeat, die HighHat vom Drum'n'Bass, das Dope des Urban Dub und die Drumsounds wie die Herzschläge der japanischen Kodo-Trommeln.

15 Euro kostete der Eintritt in den erst wenige Tage alten rsp. neuen Club "Gretchen". Das Gretchen befindet sich in der Obentrautstr., direkt neben einem extrem obskuren und schmucklosen "MusikClub" mit einer (schätzungsweise) türkischen Türsteher-Crew und keinen erkennbaren Gästen. Mit Erschrecken hatte ich mir den schon lange im Kalender rot markierten Termin ohne dazu gehörige Uhrzeit notiert, und als ich so langsam an die Abendgestaltung ging und mich nach der Öffnungszeit im Netz erkundigte, musste ich feststellen, dass seit 21 Uhr Einlass war. Verdammt! In Windeseile stopfte ich Geld, Telefon und Schlüssel in meine Taschen, zog Jacke und Schuhe an und sprang nach draußen. Ich war mich nicht sicher: Wieviel Leute würden kommen? Würde es Karten an der Abendkasse geben? Würde ich überhaupt noch reinkommen? Hatten die vielleicht schon angefangen zu spielen?

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Vor Ort angekommen entpuppte sich alles als problemlos. Es stand zwar ein Schlange von ca. 50 Wartenden vor der Tür, aber innerhalb von 15 Minuten war ich drin, hatte bezahlt und war meine Jacke losgeworden. Das Gretchen besteht aus einer einzigen Halle für ca. 400-500 Besucher, die Decke ist eine Art Kreuzgewölbestruktur (ok, hier habe ich keine so genaue Ahnung von den richtigen Vokabeln) auf weiß angestrichenen und schön verschnörkelten Metallsäulen aus der Gründerzeit. Die eigentlich stilvolle Halle erlebt einige harte Brüche durch die riesigen Lüftungsrohre, die sich rechts und links and den Seiten der Decke entlang ziehen. Einige unscheinbare Paravents teilen einen zweiten Cocktailbar-Bereich ab. Die Lichtanlage ist bescheiden, einige schlampig rsp. behelfmäßig installierte Beamer haben ihren rechten Platz noch nicht gefunden und flackern unscharf und verzogen an die Wand, während wenigstens der Beamer zur Bühne das Geschehen gestochen scharf unterstreicht. Die allesamt weiblichen Barkräfte machen den Eindruck, noch nicht richtig eingespielt zu sein, trotzdem sind alle anwesenden Menschen gut gelaunt und erwartungsvoll.

Als ich meine erste Club Mate bei der Tresenkraft mit blondem Afro bestelle, bittet sie mich, ihr das Geld direkt in die Hand zu legen, weil sie sich sonst beim Aufklauben der Münzen von der Theke ihre Fingernägel abbrechen könnte. Krass. Aber authentisch... Sie könnte gebürtige Cubanerin sein oder aus einem anderen Staat der Karibik kommen, jedenfalls versprüht sie definitiv soviel Verve, als sei der Platz hinterm Tresen gleichbedeutend mit dem Platz auf der Bühne. Einzelne Gäste fotografieren ihre Tanz- und Cheerleading-Einlagen, ein erster Schritt auf dem langen Weg zum Fame. Währenddessen spielt Onra live, eine französische Combo, deren Sound mir zunächst nicht so recht ins Ohr gehen will, der mit zunehmender Dauer aber dann doch auch zunehmend tiefer eingeht, bis er mich gänzlich packt mit seiner ebenfalls sehr urbanen Melange aus HipHop, Dub, Funk, Psychedelic und Soul, garniert mit Soundeinsprengseln kaum zuzuordnenden ethnischer Hintergründe. Etwas fehlte die Dynamik, obgleich der Künstler auf der Bühne mit Keyboard-Support daher kam. Vielleicht war's ja Keyboarder Byron the Aquarius, mit dem Onra schon 2007 eine interessante Kooperation gestartet hat, die "various influences such as futuristic hip hop and spaced-out and jazzy broken beats" beinhaltet. Passt, würde ich sagen...

Copyright fstop45
Fast pünktlich um Mitternacht beginnt Glitch Mob. Schon die ersten Sounds schieben einen Druck durch die Halle, dass die Hosenbeine flattern. Geil! Innerhalb von Sekunden sind 30 Arme oben mit Handykameras und artverwandtem Spielzeug. Ich bin nur live dabei, dafür aber richtig! Die meisten Besucher kennen das Album, auf dem nahezu jeder Song ein Treffer ist. Woge für Woge der Begeisterung rollt vom Publikum gen Bühne, bei jedem neuen, wohl bekanntem Song branden Jubelschreie durchs Gretchen. Als Belohnung gibt's brachial-fuzzy Elektronikwellen, die sich wie Springfluten von der Bühne auf die Tanzenden ergießen, um immer wieder zurück in seichtere Gewässer zu finden, wo verhuschte Geigensamples oder filigrane Synthiemelodien das Atemschöpfen erleichtern. ...Bis sich dieser Moment ankündigt, wo die Druckwelle die Leute erneut umfängt wie ein wohliger Plasmasturm. Die Musik ist körperlich erfahrbar, sie ist Extase, sie produziert Glückshormone - und sie ist frei! Sie bedient sich in allen Musikstilen, die ihr genehm sind, alle Ingredienzien klingen vertraut, sind komponiert - und generieren doch etwas so eigenständiges, so dass ich das klangliche Ergebnis, wie bereits erwähnt, nur vergleichen kann mit der Definition eines ganzen Genres, nicht bloß einer Spielart.

Copyright  The Glitch Mob
Was ist Glitch? Wörtlich könnte man sagen: Ein Störgeräusch, dass aus Fehler in Schaltkreisen entsteht. Bislang konnte dieses Genre eher als Experimentierfeld des Noize oder der Clicks'nCuts gelten, wobei es im Kern nie um die eigentliche Soundästhetik ging, sondern immer um die Arrangements ungewöhnlicher, an sich nicht mit Musik verknüpfter Geräusche. Zu den bekannteren Vertretern zählten bisher Künstler wie Autechre, Amon Tobin, Pan Sonic oder Pole. Großartige Künstler mit exzellenten musikalischen Werken und verhältnismäßig großer Fangemeinde. Doch mit den Musikern von Glitch Mob (ähnlich wie mit Apparat) stehen heute Vertreter des Genres auf der Bühne, die diesen oftmals kopflastigen Sound die körperliche Komponente hinzufügen. Glitch Mob ist musikalischer Sex, hart, vertraut, liebevoll und über die Grenzen gehend. Man kann auch sagen, ein multipler, musikalischer Orgasmus...

Habe ich schon erwähnt, dass ich manchmal zu Übertreibungen neige? Aber ich liebe dieses wunderbare Gefühl, nach Hause zu kommen mit den Eindrücken eines solchen Abends, wirklich sehr! Das hat etwas mit dem Feuer zu tun, das Musik in einem Menschen wie mir zu entfachen vermag. Ich vergehe, wenn es erlischt... Im Anschluss an das Konzert traf ich dann ein Grüppchen Live-Rollenspieler bei Curry36. Sie waren mir schon während das Konzerts durch ihre Kriegsbemalung aufgefallen, ein über's Auge ins Gesicht gemalter, jetzt vom Schweiß der Nacht verschmierter, großer, schwarzer Blitz. Die Kollegen, erfahre ich, sind extra aus München angereist, um das Konzert zu sehen. Das einzige andere Konzert in Deutschland ist in Hamburg. Da haben's die Südländer mal wieder weit zum Vergnügen. Aber Respekt, meine Lieben...

Hier noch ein Kommentar eines begeisterten Fans auf dem release Blog der Band zum Album:

"This music makes me feel like if I touched it my arms would turn silvery and magical and I could like beat up bad guys and win the universe and then I would start an investigation to all the murders of previous owners of the universe like the highlanders and he-man and then I would find out that chuck norris assassinated them and then I would get into and epic duel with chuck norris and he is going to round house my head off but I just play this album and the epic melts his brain" 

Nothing more to say...

Sonntag, 2. Oktober 2011

Klangwirkstoff :: Von Schamanen, Quantenphysik und der kosmischen Oktave

Auf so ein Event hätte ich schon vor zehn Jahren gehen wollen... Jetzt habe ich das mal nachgeholt! Das Berliner Ambientlabel Klangwirkstoff feiert nach langer Zeit mal wieder eine Record Release Party - und das in gewohnt ungewöhnlicher Form. Drei Vorträge stehen auf dem Programm: Zunächst hielt Hans Cousto eine Vortrag über seine "Kosmische Oktave", ein von ihm entwickeltes mathematisches Universum der Klänge, basierend auf der Idee, das harmonikale Gesetz von Frequenzverdoppelung bzw. Frequenzhalbierung (Oktavierung) auch über den Hörbereich hinaus anzuwenden. So entstand die Möglichkeit, Planetenrotationen und Molekülschwingungen oktavanaloge Töne und Rhythmen zuzuordnen. Die dabei gefundenen Zusammenhänge bspw. zum "Jahreston" der Erde (also die oktavierte Rotation der Erde um die Sonne) entspricht dem tibetischen "Om"-Ton, der weltweit als Herzton für Meditationen angewandt wird. Damit schafft Cousto für mich einen spannenden Zusammenhang zwischen Musik, Quantenphysik und Spiritualität, dessen ich mich hier und da wirklich gern hingebe.

Nicht zuletzt kann mit Hilfe von Coustos musikalischen Prinzipien auch Frequenzen und Töne für Moleküle bestimmt werden, was den zweiten Vortragenden des Abends, Barnim Schultze, seit mehr als zehn Jahren zur Vertonung allerhand psychoaktiver Moleküle wie z.B. LSD, THC, MDMA usw. angeregt hat. Sein Interesse galt der Frage, ob man durch die Hörbarmachung der tonalen Schwingungen dieser Moleküle ähnliche psychoaktive Effekte erzielen kann, wie durch die Einnahme dieser Substanzen. Denn relativ viele Ex-Hippies, die vom exzessiven Drogenkonsum zur intensiven Meditation gelangt sind, behaupten ja gerne, dass der drogen-induzierte Zustand des veränderten Bewusstseins auch durch allerhand andere Techniken, bspw. Meditation, Trance ua.a. herbeigeführt werden kann. Da liegt es nahe, einen Ursache-Wirkungszusammenhang zwischen verändertem Bewusstsein und bestimmten Schwingungen zu suchen.


Leider entglitt dem Redner zwischenzeitlich sein ansonsten spannender Vortrag, als er über die Krisen der Welt, Schläfer und REM-Phasen sowie Astrologie ein paar allzu esoterische Plattitüden los ließ, dennoch bekam er am Ende nochmals die Kurve, als er von seinem aktuellen Projekt, der Wasserstoffvertonung (H2 The Quantum Music of Hydrogen) sprach. Unter dem Namen Akasha Projekt kann Schultze bereits auf zahlreiche Veröffentlichungen seiner Experimente verweisen. Neben Cousto sowie den Musikern B. Ashra, Tommelon und Ricky Deadking (Eru) ist er Mitbegründer des Brain Entertainment Laboratory, dass die Frequenzen und Rhythmen natürlicher Schwingungsphänomene auf ihre psychische und physische Wirksamkeit erforscht. Die langsam veraltende Website Medienschamanismus gibt weitergehende Hinweise.

Der Dritte Vortragende im Bunde war Christian Rätsch, Doktor der Philosophie und Autor zahlreicher Bücher über psychoaktive Pflanzen, Schamanismus und das erweiterete Bewusstsein. Ein Hippie und Drogen-Guru wie er in (seinem) Buche steht! Sitzt da wie auf einem Divan, beschreibt schamanische Reisen mit indianischen Mystikern mittels Ayahuasca und gibt Reisetipps für Peru. In seinem Vortrag nimmt er immer wieder Bezug auf die monotonen Gesänge der Schamanen - und hat auch ein paar Klangbeispiele dabei, die er den zahlreichen Zuhörern nur allzugern darreicht. Sie sind vielleicht ein Vorgeschmack auf die noch viel seltsameren Tripps, auf die er selbst oft genung gegangen ist, für die es aber laut seinen Erklärungen keine Worte gibt, die ausdrücken könnten, was auf solchen schamanischen Reisen geschieht. In jedem Falle ist es lebensverändernd und von fundamentaler Bedeutung. Ok soweit. Ein bisschen eigene Mythospflege gehört natürlich auch dazu. Man will sich später auch nicht vorwerfen lassen, man habe falsche Erwartungen geweckt... Aber grundsätzlich bin ich schon geneigt, darin einiges an Wahrheit zu sehen. Schließlich würde ich den Schritt, generell bewusstseinserweiternde Erfahrungen zu machen, schon als lebensverändernd einstufen - geschweige denn, psychoaktive Substanzen wie LSD, Peyote oder eben Ayahuasca einzunehmen. Insofern redet der Mann hier sicher keinen Blödsinn.

Es geht ja auch nicht so sehr darum, ob ich das glaube oder nicht: mich fasziniert die Konsequenz, mit der dieser Mensch in einer sehr bunten, spirituellen, philosophischen, wissenschaftlichen, reiselustigen und mit sichtbarer innerer Harmonie ausgestalteten Welt lebt. Wahnsinn! Er hält auf ethno-botanischen Kongressen Vorträge über Wirungsweisen diverser Dschungel- und Hochlandpflanzen in Südamerika, schreibt Bücher über Cyberschamanismus und Technokultur, gibt Wochen-Seminare in Nepal, spricht in einem Vortrag über germanische Räucherrituale zur Wintersonnenwende und schneit auch mal - wie heute - ins Ritter Butzke hinein, um den Leuten was über Ayahuasca zu erzählen. Und noch 1000 Sachen mehr! Einige seiner Bücher habe ich 1997 während meines Aufenthalts in Nicaragua gelesen - und mir immer gewünscht, diesem Menschen mal persönlich zu begegnen. Nun, allzu persönlich ist es dann nicht geworden - aber ich bin heute zufrieden, ihn mal live erlebt zu haben.

Nach den Vorträgen gab's dann Livemusik - natürlich von Akasha Projekt, aber auch bspw. vom Kraftfuttermischwerk - während in den anderen Floors (neben weiteren Djs) auch Sven Dohse, Mary Jane, Tanith und Hypnorex ihre musikalische Jetztzeit intonierten. Im Hinterzimmer war zudem sogar eine richtige Bibliothek aufgebaut, hauptsächlich bestückt vom Nachtschatten Verlag, dem Fachverlag für intellektuelle Drogenanwender und ambitionierte Hobbygärtner. Dort konnte man auch Dr. Motte und andere Szenegrößen aus den grauen Vortagen beim Blättern und Netzwerkeln beobachten. Alles in Allem ein sehr, sehr gelungener Abend - nicht zuletzt natürlich auch aufgrund der zahlreichen Bekannten und bekannten Gesichter, die ich dort (wieder) traf. Wirklich allerbeste Abendunterhaltung!

Donnerstag, 18. August 2011

Octopussy's Garden

Heute war ich beim Krake Festival. A Week Of Good Music - wie der Lateiner sagt. Ein Untertitel, über den sich trefflich reden lässt... Gute Musik war heute: THE FIELD — live, THREE TRAPPED TIGERS  — live, EMIKA — live, DJ SCOTCH EGG — live, RUDI ZYGADLO — live, sowie DJs vom Leisure Sys­tem. Ich kenne nix davon, egal. Krake ist Experiment, ist unerwartet, extrem, laut, konsequent, großartig! Musik an der Schnittstelle zur Improvisation, Free Jazz, Psychedelic, 8Bit, Drone, Noise und dem puren Wahnsinn. Das Ganze wurde gekrönt vom Hof des Festsaal Kreuzberg, in dem wir an diesem 18. rsp. 19. August eine der spärlich gesäten lauen Sommernächte verbringen. Don ist dabei, sein ehemaliger Mitbewohner (der die schönen Portrais im Rahmen des Netaudio Festivals gemacht hat) und Julia, auch eine Bekannte Dons. Am Eingang gleich haben wir kurz mit Niko gesprochen, Mastermind des Festivals und jemand, mit dem ich/ wir ja auch gerade darüber nachdenken, ob eine Kooperation zwischen Netaudio und Krake Sinn machen könnte. Auch Silvio von Crazy Language war natürlich da, Gastgeber der Sonntags-Abschlußkrakelage auf der Jacky Terasse. Das kann auch eine sehr schöne Stimmung werden, vielleicht so schön, wie im Garten der Krake an diesem heutigen Abend. Das Publikum war sehr internatinal - Vertreter der Berliner Feier-Crowds suchte man vergebens. Ich würde auch sagen, der Anteil an klassischen Berlin-Touristen war eher gering. Das dürfte sich ändern, wenn die Krake ihre nächsten beiden Arme in den Suicide Circus ausstreckt, wo ein wirklich Aufsehen erregendes Lineup — und ebenfalls ein schöner Hof — die Mengen von der Warschauer Straße fangen.

Pünktlich zum Festival gibt's diese Diskussion um den Suicide Circus, gefüttert von einem Plakataushang im Kiez und flankiert von Demowagen vor dem Club. Alle Aktivitäten ziehlen darauf ab bekannt zu machen, dass Thilo Tragsdorf, seines Zeichens Enfent Terrible für die Verlierer und Bedrohten der Gentrifizierungs-Aktivitäten im Kiez, Finanzier des Clubs — und auch sein finanzieller Nutznießer ist. Der auch gleichzeitig diese Prozesse massiv und in höchstmöglichem Tempo auf dem RAW-Gelände vorantreibt. Ich persönlich habe entschieden, dass ich hier konsequent sein will und auf den Gaststatus im SC verzichte. Ich finde es indes trotzdem schwierig, alles in ein schwarz-weiß-Schema zu pressen. Ralf, der Booker vom Suicide Circus, ist sicher kein Feindbild und viele Veranstalter am Ort sind es auch nicht. Die Gäste tun wahrscheinlich auch niemandem etwas zu leide — aber darum geht's ja auch, ein Bewusstsein bei spaßorientierten Clubgängern für die Zusammenhänge der Entwicklung im Unterhaltungsangebot auf dem Platz zu fördern. Flankiert wird das Thema an einem Nebenschauplatz, dem ehemaligen "Rokoko-Garten" und jetzigem "Geheimen Garten". Hier stellt sich die Frage, wer ein rechtmäßiger Nutzer ist - und somit werden die seit Jahren tobenden Platzkonflikte weiter befeuert.

Im Garten des Kraken sitzend, denke ich ein wenig über die Dienstagswelt, das neue Büro in der Wühlischstr. und andere Prozesse nach, die mich derzeit ausfüllen. Wie sanfte Wellen wogen die Gespräche von den Nachbartischen und Grüppchen umstehender Leute in zahlreichen Sprachen durch mein Bewusstsein, schwerelose, bunte Wellen aus Schall und Klang. Ich muss in dem Moment an die Beatles und ihr Octopussy's Garden denken, und finde es als ein musikalisches Pendent zu "People Are Strange" von den Doors. Es ist eine liebenswerte Verrücktheit hinter einer Fassade von Konventionen, der hervorgekehrt werden will. Das schafft das Krake Festival. Scotch Egg indes ist meines Erachtens mehr wahnsinnig als nur verrückt. Seine Show ist eine Persiflage an Urbnes Jackass-Posertum, mit kleinen, feinen handwerklichen Tricks und Techniken, unerwarteten Sounds, Brüchen und atmosphärischen Wendungen sowie brachialer Konfrontation mit den Frequenzen aus reinem Geräusch. Sinnbild dafür ist eine leicht skurrile  Wollmütze — vielleicht eine Art Bildersturm auf die
Jungs aus der japanischen Hood? In jedem Falle aber eine Art Magic Hat für den japanischen Vulkan, für den die Musikperformance eine zivilisierte Form des Kampfsports darstellt. Auch Three Trapped Tigers und Emika können beeindrucken. Allerdings stört mich irgendwann bei Emika die etwas langatmige Endlosvariation eines elektronischen 90er Jahre Trance-Beats, zu dem mäandernd durch live gespielte außergewöhnliche Perkussion- und teilweise psychedelische Bassläufe sehr viele großartige Akzente gesetzt werden — inkl. plötzlicher Tempiwechsel, Offbeats und seltsamer elektronischer Geräusche.

Am Ende schaffe ich es noch vor dem sich massiv ankündigenden Gewitters nach Hause zu kommen. Octopussy's Garden ohne Wasser wäre ja auch kaum denkbar...


Sonntag, 3. Juli 2011

Fusion 2011

Wie schon die Jahre zuvor bin ich mit meiner Freundin Ulrike und ihren Kids nach Lärz auf's Flugfeld gedüst, um auch dieses Jahr dem Ferienkommunismus zu huldigen, vegetarisch zu essen und viel gute Musik zu hören. Diesmal gab's das große Ticketthema- da alle Fusion Tickets innerhalb von weniger als zwei Tagen ausverkauft waren - und zwar unmittelbar nach dem Start des VVK - und natülich schon im November (oder so) 2010. Demzufolge kamen eigentlich ausschließlich Leutchen, die mehr als ein halbes Jahr Zeit hatten, ihren Fusion-Trip zu planen. Also waren alle schon am Donnerstag da - Leute, die am Freitag kamen - oder gar Tagesbesucher - gab es kaum.

Es ging schon damit los, dass wir am Einlass locker eine Stunde im Stau standen - ein Feeling wie früher, wenn man Freitag am späten Nachmittag kam. Und das, obwohl schon alle ihre Karten hatten! Dann war es schon gar nicht mehr so leicht, vernünftige Zeltplätze zu finden. Autofrei versteht sich. Aber das ging dann doch. Pünktlich, als wir in Lärz ankamen, hatte es aufgehört zu regnen, ich nahm das als gutes Omen.

Die Donnerstagsnacht war dann auch trocken - und knallvoll, weil ja schon gefühlte 110% aller Besucher auf dem Platz waren, nüchtern, ausgeschlafen und in Feierlaune. Ulrike wollte erst Freitag nachkommen - und so lief ich dann mal alleine los - und fand in der ersten Nacht wenig bekannte Gesichter. Naja, ein paar Hallos gab's dann doch Alldub, Saetchmo und Azmir von Balkantronika z.B., die an dem Abend ihre Auftritte hatten. Dreher & Rhauder im Schuhkarton war mir zu heftig und auch Tanith oder David Pasternak habe ich nicht gesehen. YounANDme auf der Tanzwiese war mein Highlight der Nacht - aber auch die Roots Station hat mich richtig warm gespielt!

Der Freitag war schön, im Zelt wurde es schnell zu warm, draußen wechselten sich Sonne und Wolken ab, perfektes Festivalwetter! Scribble Gebibble am Querfeld haben mich mit ihrer Melange aus urbanen Sounds echt geflashed, SCSI-9 auf der Turmbühne ebenfalls! Ein Spaziergang zu den Bachstelzen offenbarte ein Partyuniversum, in dem ich mich wohl nie heimisch fühlen werde, egal ob's (wie früher) mitten auf dem Gelände liegt - oder (wie jetzt) als Satellit ganz am Rande.

Den ganzen Tag tauchte Ulrike nicht auf, die Kids waren aber gut versorgt und beschäftigten sich mit Abenteuer bestehen (inkl. einer verlornen und wiedergefundenen Geldbörse). Sie kam dann irgendwann am späten Abend, war aber noch nicht in Festivallaune, sodass ich auf eigene Faust losging. Ich blieb an der Trancebühne hängen und traf Gal von Jazzsteppa, der die Hauptrolle in dem abgebrochenen Gig der Dubstep-Combo zum Frequen.C One Festival im Yaam gespielt hatte. Wir rauchten nach guter Stadtindianersitte einen Friedensjoint und unterhielten uns lange über viele persönliche Dinge. Das war einer dieser echten, wahren, unbeschreiblichen, verblüffenden und ganz speziellen Fusion Momente: diese unglaubliche Energie, die in der Luft liegt, und in der alle Gesetze des Alltags in Auflösung zu sein scheinen. Zu unserer Versöhnung spielte Daksinamurti, ein Highlight, das ich noch von einer Dwarfs&Giants-Tranceparty im RAW.tempel kannte. Anschließend schlenderte ich zu Ronny aka Kraftfuttermischwerk - und traf dort endlich einen Haufen der Berliner Dubheads! Gewohnt chillig und verspult passte alles wunderbar zusammen. Hatte ich wirklich im Vorfeld der Fusion überlegt, dass dieses mal vielleicht tatsächlich das letzte Mal sein sollte? Es war doch sooo schön hier... In dieser Freitag Nacht spielten auch noch die Tanzen Hilft Crew aus Hamburg auf - und Neil Landstrumm hatte einen richtig tollen Gig auf dem Querfeld (neben der Dubbühne dieses Mal mein Lieblingsort!).

In den Morgenstunden ging's zurück ins Zelt. Und von da an nahm die Fusion einen vollkommen anderen Verlauf. Denn es begann zu regnen. Vorsichtig formuliert. Genauer gesagt brach dann das nassfeuchteste Inferno aller Zeiten aus. Es kam auf feuchten Sohlen - und blieb, natürlich ungebeten, bis Sonntag Abend. In der Samstagnacht rollte eine Gewitterfront nach der anderen über das Festivalgelände, auf 12 Stunden Dauerregen folgten zehn Stunden Starkregen mit heftigen Unwettern, der sich im Anschluss an die Gewitterfronten noch einmal in ca. 6h Dauerregen re-transformierte. Es waren, kurz gesagt, die heftigsten Regenfälle in der Region seit 10 Jahren. Dementsprechend verwandelte sich die Fusion in einen Morast, eine Schlamm- und Matschlandschaft, durchbrochen von Seen, Festivalmüll und verlorenen Kleidungsstücken.

Ich selbst blieb die ganze Zeit im Zelt, nur hinausgezwungen von zwei, drei Dixie-Besuchsunterbrechungen mit Regenschirm. Viele Besucher bauten im strömenden Regen das Zelt ab und fuhren Sonntag Mittag nach Hause. Ich habe derweil Quintana Roo von James Triptee Jr. ausgelesen. Tillmann, der mitgereiste Kumpel von Yannick, hatte sich ausschließlich auf Sommer eingestellt und musste am Sonntag ebenfalls heimfahren, da all seine Klamotten sowie das Zelt (das ich bereits zu Beginn des Aufenthalts mit Gaffa geflickt hatte) durchnässt waren. Ich lieh im meine Flip-Flops, da sein einziges Paar Schuhe ebenfalls klatschnass war. Yannick setzte bei seiner Mutter durch, dass er seinen Freund begleiten durfte, Mikal blieb bei uns. Leider aber hatte Yannick ein kleines, aber wesentliches Detail übersehen: Er war noch im Besitz meines Autoschlüssels, sodass er, kaum zuhause angekomen, gleich wieder zurück kommen konnte... Dumm gelaufen, sagen wir mal...

Dann hörte es endlich auf zu regnen. Sonntag Nachmittag ging's also weiter mit der aktiven Teilnahme am Festival. Jelabee Cartel auf der Tanzwiese musste ich mir unbedingt anschauen - die Inder spielen ja demnächst in der Dienstagswelt. Kombinat 100, Son Kite, M.A.N.D.Y. - und dann Alle Farben im Salon de Baille. Eigentlich hatte ich mich mit Ulrike für unseren gemeinsamen Bekannten verabredet, aber wir haben uns dann doch wieder verpasst. Keine Seltenheit... Dafür traf ich Steen und Hugo, mit denen ich im Backstage dem Swing-Special von Frans (in seiner Seemannsuniform) zuhörte und -schaute. Ein paar Minuten Atmosphere konnten mir an dem Abend sogar noch einen Eindruck davon geben, dass Hip Hop auch heute noch guten Sound bieten kann.

Am Montag ging's dann entspannt zurück nach Berlin. Nachdem es in der Nacht zum Montag resp. am Vormittag noch einmal sieben Stunden Landregen gab, empfanden wir es irgendwie als Privileg, dass Nachmittags der Regen aufhörte und wir das nasse Zeug wenigstens im Trockenen einpacken konnten. Jedenfalls ist klar, das war kein Event für Schönwetter-Raver...

Und nächstes Jahr? Ich weiß noch nicht...


Donnerstag, 23. Juni 2011

Popol Vuh Revisted - Ein Remix Release Abend im Coockies

Tja, schwer zu sagen, ob heutzutage mehr Menschen das Cookies oder Popol Vuh kennen..? Ich meine den geschichtsträchtigen Berliner Club - und die noch viel geschichtsträchtigere Band um den 2001 verstorbenen Elektronik-Pionier Florian Fricke, Gründer der Band Popol Vuh. Kleiner Exkurs zu Wikipedia:

Um 1967 traf Florian Fricke den Regisseur Werner Herzog, in dessen Spielfilmdebüt "Lebenszeichen" er eine Rolle spielte. Fricke schrieb ab 1971 auch die Musik für mehrere Filme von Werner Herzog, u.a. für Aguirre, der Zorn Gottes, Herz aus Glas, Fitzcarraldo und Nosferatu - Phantom der Nacht (mit Bruno Ganz und Klaus Kinski).Florian Fricke gehörte seit 1969 mit zu den ersten Musikern, die einen Moog III-Synthesizer nutzten. Seine Veröffentlichungen unter Verwendung dieses signifikanten Instruments bis 1972 sollten die Elektronische Musik in Deutschland prägen. Fricke sagte 1970: "Die Musik, die man mit einem Moog machen kann, umfasst schlechthin die Empfindungsmöglichkeiten des Menschen".
Gemeinsam mit Holger Truelzsch und Frank Fiedler gründete er 1970 die Gruppe Popol Vuh, die dem Krautrock zugeordnet wird. Der Name ist der Mayakultur entlehnt und erinnert an die Schöpfungsgeschichte des Menschen. Die Band, die oftmals christliche oder mystische Motive in ihrer Musik umsetzte und zu Gunsten eines ätherischen Klangs weitgehend auf elektrische Gitarren verzichtete, veröffentlichte bis 1997 über 20 Alben.
Neben der Arbeit mit Popol Vuh arbeitete Fricke mit zahlreichen Musikern zusammen. Er war 1972 auf dem Album "Zeit" der Gruppe Tangerine Dream zu hören, eine weitere Zusammenarbeit bestand mit Renate Knaup von Amon Düül II.

Johannes, so heißt nun sein Sohn, hat dieses Event angeleiert - und ich war gespannt wie ein angelsächsischer Langbogen. Im Vorfeld hatte ich mit Johannes Fricke ein paar Mails hin- und hergeschoben, weil uns ein gemeinsamer Kollege unbedingt zusammen bringen wollte. Er war der Meinung, dass Johannes da ein interessantes Projekt anschiebt - und Raimund ein interessantes Event daraus machen könnte. Ich denke, er hatte Recht - aber wir kamen trotzdem nicht zusammen. Letztendlich ist Johannes Fricke in der Welt der Kunst zuhause, in der sich Vernissagen, Empfänge und internationales Bussitum aneinander reihen wie die Zuchtperlen der Halskette seiner Mutter, die an jenem Abend übrigens auch da war. Und ein Gespür für Musik, zumal elektronische, sowie für Clubkultur war eher nicht erkennbar. Andererseits liest sich die Liste der involvierten Musiker wie ein who-is-who der letzten 15 Jahre deutscher Elektronik - und mit dem angekündigten Veranstaltungsort "Kino International" war eigentlich ein brauchbarer Rahmen aufgezogen. So ließ ich schließlich die Finger von einer ohnehin erst lauwarm gekochten Kooperationsidee.

Also - die erste Überraschung war perfekt, als die Einladung nicht für's Kino International sondern für's Cookies ins Haus flatterte. Leider erhielt ich keine Einladung für den offiziellen Empfang in der mexikanischen Botschaft, die seit den frühen Tagen die Band, die sich nach dem Schöpfungsmythos der Maya benannte, wohlwollend unterstützt und begleitet. Das Coockies, das es heute gibt, liegt an der Ecke Friedrichstr./ Unter den Linden, im Westin Grand Hotel, und hat damit so ziemlich die teuerste  Adresse, die man in Berlin angeben kann. Jaja... das Cookies... das zwischen 1994 und heute sechs (?) Mal die Location wechselte und sich immer komplett wandelte. Wer den Laden von früher - also von ganz früher - kennt,  als er noch den rohen Charme von unsanierten Altbauruinen der Post-Wendezeit versprühte, für den der Laden - und die ganze Clubszene Berlins berühmt geworden sind, der wird keinen Hinweis mehr auf die turbulente Vergangenheit der ersten Techno-Blütezeit finden. Als einzige Konstante mag vielleicht die Beobachtung von Jan Joswig gelten, über die er in seinem Blog schreibt:

Nicht das gleichmacherische Techno-Raven, bei dem der Einzelne in der glücklichen Wolke versinkt, sondern das scharf konturierende Clubben, das jeden Einzelnen im Suchscheinwerfer kollektiver Eitelkeit hervorhebt, wurde im Cookies zelebriert. Raven ist die Absage ans Starsystem, Clubben ist die Überspitzung des Starsystems. Im Cookies versammelten sich nicht die Ohren-, sondern die Augenmenschen und hoben sich gegenseitig aufs Podest (noch vor der Erfindung der Handy-Fotografiererei).
Der überraschend übrschaubar große Club füllt sich an diesem 23. Juni 2011 ab 21 Uhr auch nur langsam, Johannes kam und betonte, wie froh er sei, uns zu sehen, drückte uns Getränkemarken in die Hand und erklärte, dass das heute eher so einen familiären Charakter hätte und er sich wünscht, dass sich Alle untereinander kennen lernen. Ich schätze, sowas ist gute Sitte bei Empfängen, die JF sonst so mitmacht. Mutti kam und einige Zeitgenossen. Und endlich - mit endlos erscheinender Verspätung auch Roland Appel, seines Zeichens ein Teil vom Sonarkollektiv und von dem die de:bug mal schrieb:

Roland Appel ist das Sinnbild des kultivierten, gereiften Bohemiens. Der Familienvater und Vincent-Gallo-Lookalike, der auf Dior-Modenschauen und Lookbook-Shootings von Mario Testino aufgelegt hat, hat seine Musikliebe nie als Ausrede verstanden, keine Krawatte binden können zu müssen. 

Nun gut. Jedenfalls war das Konzept des Abends, dass eben jener RA die ganzen schönen Stücke von der Remix CD mit den ganzen schönen Originalen von Popol Vuh zu einer Zeit- und Soundcollage vermischen sollte. Dabei ging es um zahlreiche Meilensteine, die Florian Fricke zwischen 1970 und 1999 schrieb. Und andererseits um die Remixe von Moritz von Oswald, Mouse on Mars, Stereolab, Peter Kruder, Thomas Fehlmann (The Orb), A Critical Mass, Hasswell & Hecker, Mika Vainio (Pansonic), Alex Barck (Jazzanova) - und besagtem Roland Appel. Hinter dem DJ wurden, ganz in multimedialem Geiste der sich vermischenden visuellen und zeitlichen Ebenen, dann auch Filmsnippets aus dem Privatarchiv der Familie gezeigt.

Soweit das Konzept.

So ein Quatsch. Es begann mit einer Anmoderation, in der sich Johannes bei allen Beteiligten mehrfach bedankte (nicht etwa, um keinen der angereisten Gäste zu vergessen, sondern weil er keine Rede vorbereitet hatte und ihm spontan wohl einfach nichts Gescheites eingefallen ist.) Der Applaus nach seiner Ansprache sollte sicherlich die Erleichterung über das Ende seiner Stammelei - wie auch eine tatsächlich vorhandene Grundzustimmung zu dem hier präsentierten Projekt zum Ausdruck bringen. Leider vergaß er, das Mikrofon auszuschalten, was die nächsten 3(!) Stunden zu einem grauenhaften Hintergrundrauschen führte, dass die ansonsten ordentliche Coockies-Anlage sehr hörbar widergab. Nach 3 Minuten stellte sich überdies heraus, dass das vollkommen langweilige Bildmaterial uns in einer Endlosschleife durch den Abend begleiten würde. Lediglich eine kurze Einstellung zeigte FF mit seiner Moog-Monstermaschine, der Rest waren Bilder etwa von einem VW Bus auf einer Landstraße in Lomo-Ästhetik - oder eine mir unbekannte Frau - vielleicht wars die junge, heute ebenfalls anwesende Renate Knaup (oder doch Conny Veit) ? - vor einem Bauernhaus (vermutlich Frickes Wohnsitz auf dem Bayerischen Land). Wieder und wieder und wieder und wieder und wieder und wieder und wieder und... naja, ihr wisst schon... fing dieses Kurzfilmchen von vorne an und unterlegte Appels Bemühungen, sich als DJ seinen Namen zu ruinieren, mit einer passenden visuellen Tristesse. Mein Gott, ich kann mich an keine schlechtere DJ Performance erinnern, als die gehörte. Vollkommen überfordert war er mit der Aufgabe, nahezu keinen Übergang hat er hinbekommen - und zwischenzeitlich hat er mal 15 Minuten eine stumpfen 4/4 aus dem Effektrepertoire des Mixers über seine zerschredderten Beats geknallt um seine Hilflosigkeit zu überspielen- oder war das gar der Sound des Remixes? Ich kann's ja nicht glauben. Nun, Produzenten sind keine DJs, Herr Appel und Herr Fricke!. Gut das wir genügend Getränketickets hatten.

Es war eine grottenschlechte Performance - ein grottenschlechter Sound und grottenschlechte Visuals. Die 64 Gäste hielten sich dann doch an Sekt und Wasser von der Bar, das eingespielte Disko-Licht der automatsichen DMX-Steuerung ignorierend. Es wurde später und länger und nichts veränderte sich. Dann kamen die ersten Anzugträger zum anschließenden regulären Handtaschen-House. Der Nightmanager insistierte, und in die Schlußworte von Johannes, die wieder nur eine Aneinanderreihung von gestammelten Dankesworten war, mischten sich die ersten House Tunes des Cockies-Resident DJs, dessen Name nichts zur Sache tut. Ein Schlussapplaus blieb uns allen erspart. Schnell entfernten wir uns von der Stelle, an der eine großartige Idee öffentlich Schiffbruch erlitt. Schade, schade, denn ich kann mir sehr gut vorstellen, dass das Release mehr als gut ist - und meine Güte: was hätte man mit den beteiligten Musikern für ein Event veranstalten können. Schade, schade, schnief...

Photos: popolvuh.nl oder unbekannt.

Dienstag, 17. Mai 2011

Netaudio London 2011

Tja - Netaudio London 2011 - das war erneut eine komplett andere Veranstaltung als 2006 und 2008. Mit cc hatte das gar nicht mehr viel zu tun - aber das Programm war trotzdem aufregend und die Venues - wie bereits die voran gegangenen - exzellent gewählt!

Don, Gutti und ich hatten demzufolge auch mächtig viel Spaß in London. Es war toll, die ganzen Freunde wieder zusehen, ein wenig mitzuhelfen in den letzten Stunden - und während des Festivals - und dann haben wir ja auch noch das Projekt "Village Underground" besucht, ein Kunstprojekt, dass in erster Linie dadurch auffällt, dass sie alte, ausrangierte Waggons auf das Dach eines alten Warehouse in der Innenstadt gesetzt - und zu Ateliers und Produktionsstätten umfunktioniert haben. Tamsin, die Leiterin des Projekts, hat uns rumgeführt, alles erklärt - und hatte sogar noch leckeres Weed für einen gemütliches Nachmittagsschmauch... In der Eventhalle unten drunten liefen gerade die Vorbereitungen für einen 40er-Jahre Abend (mit Fliegeralarm, Essensmarken, Alugeschirr usw.) - und zum Abschluss warfen wir auch noch ein Blick ins ehemalige Bordell an der Ecke, was die Künstlertruppe nun für ihre Zwecke umfunktioniert...

Da wir den halben Tag über den Info Point im Roundhouse betreuten - und den anderen halben Tag mit Catering und Transport zwischen dem Roundhosue (Tagesprogramm) und dem Koko (Nachtprogramm) verbrachten, habe ich, neben einigen elektronischen Spielerein im Ausstellungsrondell des Roundhouse  die schönsten Erinnerungen ans Koko und das Programm. Eine wunderschöne Venue mit Gold, rotem Samt, 1000 Separées und einer riesigen Bühne. Das FOH scheint freischwebend in sechs Meter Höhe zu liegen - und ist ein unglaublich geiler Arbeitsplatz für einen Soundtechniker...


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Ich re-poste hier auch noch mal - und zur Ergänzung -mal eine Antwort,  die ich im Anschluss and das diesjährige Festival "Netaudio London" auf ein Posting des Bloggers, Nerds und cc-Sympathisanten Pete Cogle über die Plattform netlabelism verfasste. Hier ist der Originalpost:

XR says:

unfortunately I wasn’t able to follow any of the discussions on sunday but had a stroll through the sound installations, listened to some newcomer bands/ musicians, and followed the whole show at koko’s during the late evening. all i experienced was entertaining, fresh, thought- and playful – as well as there was always an idea behind what’s going on, which interested me.

i am quite certain the organizers are significantly far away from marxist ideology and not promoting anti-cpitalistic ideas by/ for themselves too hard. so i would turn the above mentioned focus of criticism to the question of how much of the content presented on a conference one is able/ willing to control during the process of the programmation of a festival. how much of the content and thoughts presented would you like to filter? i think, the intention was to find links between experimental music (scene) on one side and the political impetus it might has on the other. 
i remeber a disussion we had during the netaudio berlin festival where one participant was arguing exactly the same way – promoting the idea that artists don’t need money because what they do is art – and therefor free of financial aspects by the very concept. (hard to understand? well…) making money from music is still perspected by a relevant group of grail’s guardians as the fall from grace. exactly the opposite of what 99% of all the artists expect, btw. one of the big disadvantages of that development is, that the future perspectives are very limited – as the netlabel landscape is condemned to stuck with freaks, newcomers and amateurs only. no misunderstandings:

i think this is ok on one side – but a shame on the other – as i see it as a waste of so many valuable opportunities… regarded in this light, the direction the netaudio london festival takes: shifitng it’s focus away from netlabels and cc towards experimental electronics – is not supposed to be finished – as the anti-capitalisitc topic might indicate. another reason to ban ideology (not the netlabel please..!) from any festival and musical concept.

a much debated point in the forefield of the festival amongst the organizers was to change its name – due to the fact that the festival should not focus on netlabls and cc music any more and expectations might go wrong. the festival organizers in the end decided to stay with the name they had chosen in 2006 for their first festival – as they since than promote the festival’s idea is to present “sounds from the internet” and creative (art) works related to the net as a driving force. that does not necessarily mean cc as a licence and netlabel as a platform of distribution and promotion. while it was the main focus in 2006 is has dropped down to a 50/50 equivalent in 2008 and developed to a small side aspect of few participants on the newcomer’s stage in 2011. if you’re a bit hardboiled you might consider this as a seismograph of the netaudio activities – wasting its potential with full hands, open hearts and a smile…

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Samstag, 30. April 2011

29.04.2011 :: Nachtschatten Vol. 3 @ MIKZ

Es hat mich wieder gejuckt... Neben all der ganzen Elektronik von der schönen Dienstagswelt war es doch mal wieder Zeit für ein paar Dirty Urban Beatz - heißt: Drum'n'Bass, Dubstep und ein von mir neu erfundenes Genre "Urban". Nun gut, ich gebe zu, vielleicht benutzen andere diesen Begriff auch noch, jedenfalls interssiert mich diese urbane Melange aus harten Beats und Einflüssen verschiedener, sehr urbaner Stile wie Punk, Hip Hop, Breakbeats, Hardcore u.a. Ich finde das Ergebnis oftmals spannend, nicht alles ist gut, aber langweilig wird's jendefalls nie!

Ich würde ja gerne auch mal "Glitch" in den Club bringen - aber ehrlich gesagt kenne ich nicht mal einen einzigen DJ - geschweigen denn Liveact, der sich in Berlin rumdrückt und auf ne Gelegenheit wartet, sowas mal raushauen zu können. Also warte ich geduldig auf das nächste Mal...